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27. Jul 2012 Die Freiheit, die Würde und der Tod.
Anfang der Woche hat die wunderbare Frau Meike einen ganz wunderbaren und wichtigen Artikel geschrieben. Falls Sie ihn noch nicht kennen, gehen Sie doch bitte rüber und lesen sie ihn, denn ich werde den Teufel tun, hier eine Zusammenfassung zu wagen.
Mein persönlicher Ausgangspunkt ist ein etwas anderer, denn ich fürchte den Tod von Kindesbeinen an. Ich war elf Jahre alt, als mein Vater meiner Mutter und mir glaubhaft versicherte, wir würden das Haus nur mit den Füßen nach vorne verlassen. Das hat mich geprägt. Später, als Teenager, war ich dennoch einmal so verzweifelt, dass ich die Begegnung mit einem Zug ernsthaft in Erwägung zog. Man holte mich von den Gleisen, bevor es ernst wurde – dabei hätte ich wahrscheinlich eh gekniffen, siehe oben. Es war lediglich eine durch und durch reflexhafte und egoistische Reaktion auf verstörende Erlebnisse und das heillose Durcheinander in meinem Kopf, und ich bereue es noch heute, vielen Menschen damit so einen Kummer bereitet zu haben.
Und da sind wir schon am Punkt: Ich hatte Menschen, von denen ich mich zeitweise tragen lassen konnte, ich hatte Perspektiven, die mir etwas bedeuteten, ich war gesund. Für mich gab es einen Ausweg. Mein Freitod wäre sinn- und verantwortungslos gewesen, und deshalb finde ich es wichtig, dass selbstmordgefährdeten Menschen Verständnis entgegengebracht und Hilfe angeboten wird. Ich stimme Meike aber auch voll und ganz zu, dass es absolut irrsinnig ist, das Leben zur gesellschaftlichen Pflicht zu erklären. Dass das Leben wertvoll ist, stelle ich nicht Frage. Ich weiß aber auch, dass sein Preis manchmal zu hoch sein kann.
Letztes Jahr hielt ich die Hand einer Frau, die ihr Leben über 90 Jahre lang völlig autark bestritt, bevor ihr Körper um sie herum zerfiel. Ich schrieb darüber, wie sie ganz deutlich sagte, dass sie so nicht mehr leben möchte, und kurz darauf nahm sie ihr Schicksal selbst in die Hand, indem sie Nahrung und Flüssigkeit verweigerte. Als wir sie ein vermeintlich letztes Mal besuchen wollten, hing sie plötzlich am Tropf, vollgepumpt mit Opioiden und mit blicklos rollenden Augen. Ich habe vor Wut geweint.
Einige Monate später schuf der Krebs Tatsachen bei der kleinen Katze, mit der der Mann und ich acht Jahre unseres Lebens geteilt hatten, und stellte uns vor die Wahl, weiter abzuwarten, bis sie verhungert oder erstickt – oder in den Lauf der Natur einzugreifen und ihr das Leben zu nehmen. Es war die schwierigste Entscheidung, an der ich jemals beteiligt war, und ich weiß bis heute nicht, ob es richtig war, sie einschläfern zu lassen. Aber: Wir hatten die Möglichkeit, ihr noch mehr Leid zu ersparen. Eine Möglichkeit, die wir bei den Menschen, die wir lieben, nicht haben.
Es ist grausame Realität und unvorstellbar zugleich, dass wir unseren Haustieren etwas zu Teil werden lassen können, was uns nicht zugestanden wird, selbst wenn wir es uns im Vollbesitz unserer geistigen Kräfte wünschen. Das hat meiner Meinung nach viel damit zu tun, dass gewisse Werte in unserer Gesellschaft kaum eine Rolle spielen, nämlich Empathie und Akzeptanz. Wir sind so unerbittlich in unserer Vorstellung des Wahren und Richtigen, dass wir anderen verweigern, was wir uns selbst wünschen: In Freiheit und Würde zu leben. Und zu sterben.
11:03h
Sandra Matteotti sagt:
Die Angst vor dem Tod ist eine weit verbreitete. Man weiss nicht, was nachher kommt und alles Neue, Ungewisse macht Angst. Und selbst wenn wir ab und an des Lebens müde sind, weil der Preis in der tat ein hoher ist, so fürchten wir zumindest das Sterben, denn das könnte weh tun. Und noch immer steht dahinter das grosse, ungewisse Loch. Der Leidensdruck, der diese Angst vor dem Tod überwinden lässt, weil das Leben, das ist so untragbar ist, muss gross sein. Daher ist es in meinen Augen falsch, jemanden, der diesen Weg wählt, zu verurteilen. Klar gibt es Schnellschussreaktionen, die bei gründlicher Reflexion völlig unverhältnismässig und grundsätzlich gar nicht gewollt sind. Da ist es schön, wenn man getragen ist, wenn jemand da ist, der einen vor der eigenen Unvernunft bewahrt. Trotzdem vertrete ich die Meinung, dass wir ein Recht auf unser Leben haben und somit auch das Recht auf den Tod impliziert sein sollte, da der Tod ein Teil des Lebens ist. Ich habe noch nie von einer Pflicht zu leben gehört. Wem gegenüber hätten wir die? Unseren Eltern gegenüber? Einem wie auch immer gearteten Gott gegenüber? Dem Leben gegenüber? Wieso gestaltet es sich dann so schwer, dass es einige nicht mehr lebenswert erachten in gewissen Momenten? Es sind Empathie und Akzeptanz des Einzelnen, seine Schritte anzuerkennen und sie nicht zu verurteilen.
Wieso aber fehlt die beim Menschen? Wieso dürfen wir ein Tier erlösen, den lieben Menschen aber nicht? Vor nun 2 Monaten musste ich mit meinem geliebten Kater in den Notfall. Blasenverschluss. Das Problem konnte gelöst werden, eine Tortur für den Kater, die Diagnose war: es kann wieder kommen… Zweitmeinungen und Drittmeinungen waren alle verschieden, der Kater litt. Ich litt mit. Weil ich ihn leiden sah und weil ich eine immense Angst vor seinem Verlust hatte. Er war über 8 Jahre mein Ein und Alles gewesen. Viele sagten: Ist doch nur eine Katze. Erlös ihn und schau nach vorne. Ich schwankte. Was ist richtig? Wie viele Schritte soll ich noch gehen? Ich habe ihn zwei Wochen therapiert mit Infusionen, mit Kathetern, mit Blasenentleerungen. Er war nicht mehr er selber. Er war still. Er magerte ab. Vom grauen grossen Bären zum kleinen Flauschebärchen. Immer noch süss, immer noch über alles geliebt. Aber eben… Ich beschloss, dem Leiden ein Ende zu setzen. Er starb in meinen Armen am 16. Mai durch eine Spritze. War das richtig? Hätte ich noch operieren sollen? Hätte ich weiter probieren können? Wäre es wieder gut gekommen? Die Fragen kamen oft und lange. Ich weinte zwei Wochen. Ass nicht mehr, schlief nicht mehr. Hörte von überall: Nun hab dich nicht so. War ja nur eine Katze. Was machst du, wenn mal ein Mensch stirbt? Ich seh das anders. Er war mir näher als mancher Mensch. Und doch: Welche Fragen tauchten auf, wäre es ein Mensch, bei dem man vor derselben Entscheidung stünde? Wenn nur ein Fünkchen Hoffnung auf Heilung verstünde (und die Hoffnung stirbt zuletzt). ich für mich wünsche mir, das alle Maschinen und Massnahmen sofort abgestellt würden bei mir, sollte nur ein Hauch eines Risikos bestehen, dass ich nicht mehr autark und im Vollbesitz meiner geistigen (vor allem) Kräfte sein. Aber was, wenn es mein Mann, mein Kind, mein Vater wären… ? Eine schwere Frage. Ich weiss nicht, wie ich entscheiden würde. Sicher im Sinn des Leidenden, immer. Aber wie danach damit umgehen - für mich?
18:17h
Frau Meike sagt:
Irgendwo zwischen Handreichen und . Punkt.
13:09h
serotonic sagt:
Sandra, solche Entscheidungen sind nie leicht, weder für Angehörige noch für die Betroffenen selbst. Wichtig wäre doch, dass uns die Freiheit zugestanden wird, die Entscheidung überhaupt zu fällen. Die haben wir hierzulande nämlich eben nicht, hier wird gnadenlos bis zum Letzten gelitten, selbst wenn es Monate oder Jahre dauert. (Unser Umgang mit dem Tod beschränkt sich im Grunde nur darauf, ihn zu vermeiden, pardon, hinauszuzögern.)
Frau Meike, jawohl, Punkt.