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In den letzten Tagen habe ich oft auf ein leeres Eingabefenster gestarrt. Anfangs, weil ich erzählen wollte, was die Tragödie in Duisburg letzten Samstag mit mir gemacht hat. Mehr und mehr habe ich aber gemerkt, dass ich befangen bin. Dass ich mich immer weniger traue, zu irgendwelchen Anlässen auch nur irgendwas zu sagen, denn: Entweder ist die Trauer zu groß oder zu klein, die Betroffenheit zu lang anhaltend oder zu kurz (und damit zu unecht), die Betrachtung zu oberflächig oder zu tiefschürfend, die Form zu überdimensioniert oder in ihrer Zeichenbeschränktheit zu unangemessen, die innere Haltung zu gefühlsbetont oder zu sachlich. Ich bin nicht mehr frei, weil jede Rührung einer Bewertung unterliegt.
Während der WDR-Berichterstattung direkt nach dem Unglück wurde ein Kameraschwenk über die Autobahn neben dem Loveparade-Gelände gemacht, auf der Mike Litt versehentlich im Bildrand stand und lachte. Wenige Minuten zuvor hatte er noch mit entsetztem Gesichtsausdruck berichtet – und nun ein Lachen? Ich war geradezu erleichtert. Weil da ein Mensch stand, ein echter, mit echten Gefühlen, einer, bei dem neben Entsetzen, Trauer und Sprachlosigkeit ein Lachen Platz hat. So sind Gefühle glücklicherweise; sie sind frei und unabhängig von Maßstäben und retten uns damit in schwierigen Situationen den Arsch.
Was mich in unserer kuscheligen Onlinewelt hingegen nur allzu oft verstört, ist der Zynismus – und dass er zum guten Ton zu gehören scheint. Er kommt mir vor wie das weiße Porzellan mit Goldrand in den gutbürgerlichen Verhältnissen, in denen ich aufwuchs. Oder wie der sorgfältige Handkantenknick im Sofakissen. Wie ein Zeichen für intellektuellen Wohlstand, sozusagen. Dieser Zynismus ist etwas, mit dem ich persönlich nicht zurechtkomme; er schreckt mich ab. Jedoch: Ich möchte niemandem diese Art des Umganges mit [Wasauchimmer] nehmen oder ihm seine Sinnhaftigkeit absprechen, denn das steht mir nicht zu. Und damit sind wir auch in diesem Punkt wieder am Anfang – nämlich da, dass ich lieber gar nichts sage.
Es ist nicht so, dass ich mich wohl damit fühle. Oder dass ich das Bedürfnis habe, es jedem Recht zu machen. Ich habe nur Angst vor den Schnappreflexen; vor meinen eigenen und denen der Anderen. Davor, dass ich einem Impuls nachgebe, eine Nachricht oder ein Gefühl teile – und mir plötzlich ein völlig Fremder in womöglich herablassender Haltung und mit hochgezogener Augenbraue begegnet, um seinen eigenen, persönlichen Maßstab anzulegen.
Da bin ich zu dünnhäutig für.
Und für diesen Kampf bin ich auch gar nicht hier.
Titel geliehen von Kettcar, Einer. Danke! ♫
Ach, und lesen Sie doch auch bitte Das Lachen nach dem Schluss. Und Silenttiffys Kommentar dazu auch.
Haha, ich werde vergesslich. Das hattich doch schon mal, nur anders.
11:00h
Hammwanich sagt:
Danke für diesen Text. Er drückt genau das aus, womit ich mich seit einer Woche ebenfalls rumschlage. Nur viel besser, als ich es gekonnt hätte.
13:46h
Fritz sagt:
Du sprichst einen wunden Punkt eines großen Teils der Meinungsmacherei in den social media an. Was bemüßigt "uns" eigentlich, uns dauernd wie klappernde Mühlen am rauschen Bach zu allem und jedem verbal hervorzutun? Man sagt nach Möglichkeit nie etwas, was einem die beleidigte Schnute eines Followers einbringt. Und sehr vieles sagt man nur, damit einem irgendjemand auf die Schulter schlägt. Und so bilden sich jede Menge müder Konventionen heraus: Mit Zynismen erntet man Lacher, mit Obszönitäten zeigt man wie cool man ist, mit Zustimmung zu den gängigen Meinungen, dass man in ist, mit bombastischen Gedanken, wie man schlau ist, mit Poetisierereien, wie tief man empfindet … Tatsache ist: Unglaublich viel Schauspielerei, Theater, Versteckspiel, Unehrlichkeit, Anpasserei und eben mechanisch rausgesprudelte Zynismen/Anteilnahme/Kritik. Alles nur um die Beliebtheit zu steigern. Es geht immer nur um den Like-Button.
Gefällt mir sehr gut, deine "Angst vor den Schnappreflexen". Ich sehe darin auch eine Angst vor dem "Herdenverhalten", d.h. der Versuch sich frei zu machen davon, immer zuerst darauf zu achten, was wohl die anderen denken/tun/fühlen/vortäuschen, und sich dann kongruent verhalten. Schweigen ist da der erste Schritt zum Selbstgefühlten oder -gedachten.
10:25h
serotonic sagt:
Fritz:
> Es geht immer nur um den Like-Button.
… also um digitale Nestwärme. Völlig richtig, und auch völlig logisch. Schließlich sind bei aller Selbstdarstellerei nur die wenigsten von uns coole Ablehnungsjunkies.
Eigentlich ist alles so wie immer, so wie offline. In den 80ern haben ’se sich auf Familienfesten gegenseitig fast die Köpfe im Diskurs darüber eingeschlagen, welche Versicherung die bessere ist – heute geht’s um die sozial korrektere Meinung. Im Grunde ist das Prinzip das Gleiche, beides befriedigt das menschliche Bedürfnis, besser zu sein, mehr anerkannt, mehr geachtet zu werden. Und das, wo wir uns im Grunde doch eh alle lieb haben.
Hammwanich:
Danke. Nestwärme und Anerkennung werden hier gerne genommen ;)