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© „Three in a row“ by Yannig Van de Wouwer – Some rights reserved. Danke!
Ich bin heute ein wenig grantig, müssen Sie wissen. Und zwar, weil ich mich – und nun halten Sie sich fest, werte Leserschaft – vor wenigen Minuten von der örtlichen Wurstfachverkäuferin ordentlich habe anranzen lassen müssen. Ich habe ihr nicht auf den Tresen gespuckt, ihr nicht in die Auslage gehustet und auch sonst nichts getan, was eine Metzgersfrau landläufig zur Weißglut zu treiben pflegt, nein. Ich habe mich lediglich nach der Herkunft des Rindes erkundigt, dessen Bein ich, zumindest teilweise, zu einem Ragout verkochen wollte.
Sie müssen wissen, ich bin ein recht freundlicher Mensch. Nicht so ein betont-freundlicher, der zwischen den Zeilen sowas sagt wie Lecken Sie mich am Sitzfleisch und zwar hurtig, Sie Bedienungsvieh
, sondern jemand, der einfach keinen Sinn darin sieht, allerorts seine malade Geisteshaltung an den Mann zu bringen. Jemand, der mit Hingabe eine gute Beziehung zu all seinen Dienstleistungs- und Geschäftsverhältnissen (giving wie receiving – Sie verstehen) pflegt und es gelinde gesagt supi findet, wenn Menschen nett zueinander sind. Sie müssen aber auch wissen, dass ich es heute nur der Anwesenheit des Poschisten zu verdanken hatte, dass ich nicht einmal gepflegt ausgetickert bin, hier, in unserer örtlichen Metzgerei zu Dingsheim, und das kam so:
Vor einiger Zeit, es muss Jahre her sein, erkundigte ich mich in der Metzgerei, was für Tiere denn da so hübsch zerlegt feilgeboten werden, und woher sie stammen. Ich erfuhr: Hier handelt es sich um beste Eifel-Ware, fachmännisch wie artgerecht am Hof aufgezogen, gewissenhaft getötet und im eigenen Hause verarbeitet. Das fand ich prima, und so kauften wir unser Fleisch von nun an dort. Seither machte ich jedoch eine Art Verständnisprozess ob des Tiere-Essens durch, verzichtete immer häufiger und ausgiebiger auf das, was mich am meisten sabbern lässt, und beäugte die Herkunft immer kritischer. Und so kam es, dass mir die Aussage Die kommen aus der Eifel
nicht mehr ganz reichte, vor allem da ich einst meinte zu beobachten, wie mein bestelltes Suppenhuhn flugs einer aufgeschäumten Plastikschale mit etikettierter Frischhaltefolie entrissen wurde, um in hauseigener Umverpackung seinen Besitzerwechsel anzutreten.
Ich suchte also letzte Woche die Wurstfachverkäuferin auf, um 1 Kilogramm Beinfleisch vom Rind vorzubestellen und nutzte die Gelegenheit, einmal genauer nachzufragen. Dabei entspann sich folgender Dialog:
Wo kommen Ihre Tiere denn genau her?
Aus der Eifel.
Das weiß ich schon, ich würd’s aber gerne genauer wissen. Gibt es einen Hof, von dem Sie das Fleisch bevorzugt beziehen? Und aus welcher Haltungsform stammen die Tiere?
Den Hof weiß ich nicht, aber die kommen alle aus artgerechter Haltung.
Das ist gut, könnten Sie den Hof für mich in Erfahrung bringen bitte?
Natürlich gerne, ich bin nur 2 Mal die Woche hier, ich kenne mich da nicht so aus, aber ich sage meiner Kollegin Bescheid.
Wir rechnen also zusammen:
2 Fragen nach der Herkunft, 2 Mal die Antwort „Eifel“ und „artgerecht“.
Machen wir einen Sprung in der Zeit, stellen Sie sich neben mich, holen Sie heute Ihr Kilo Beinfleisch vom Rind an meiner Stelle ab. Sie betreten den Laden, Sie lächeln, Sie sagen Guten Tag!
und warten darauf, bedient zu werden. Sie nehmen wahr, dass heute beeindruckend viel los ist, weil viele Rentnerinnen wahre Massen an Fleisch kaufen müssen und dass Sie so keine Gelegenheit haben werden, die toten Rinder mit Namen vorgestellt zu bekommen. Ihnen geht es aber auch nur um einen Hofnamen, eine Betriebsnummer vielleicht – und um ihr Kilo Beinfleisch natürlich.
Sie finden es komisch, dass eine der zwei Bedienungen immer wieder mal ums Eck geht, um sich feucht in die Armbeuge zu husten, aber Sie sind ja kein Unmensch, Sie waren schließlich auch schon mal krank, und was soll man schon machen, wenn die Bronchien so verschleimt sind? Da kann man ja nicht einfach mal spontan den Beruf wechseln. Sie hoffen aber insgeheim, dass das Glück Ihnen hold genug ist, ihnen die andere Bedienung zuzuspielen – und kichern innerlich fürchterlich infantil, als es natürlich anders kommt und Sie mit der kranken Fleisch- und Wurstwarenfachverkäuferin vorlieb nehmen müssen.
Sie sagen, dass Sie Fleisch vorbestellt hätten und … WAS haben Sie?!
– Beinfleisch vorbestellt. Vom Rind. Auf den Namen serodings.
– Ach ja.
Sie beobachten, wie die Dame mittleren Alters einen Schnellhefter wälzt, Ihren Namen durchstreicht und sauber eingepacktes Fleisch aus dem Kühlhaus holt. Soweit so gut, aber Sie wollen jetzt mehr. Mehr wissen. Darf’s sonst noch was sein?
Sie sagen ja und beziehen sich auf das Gespräch mit der Kollegin und erneuern Ihre Bitte, mehr zu erfahren. Leider weiß Ihre Gesprächspartnerin nichts von dem Vorgespräch und fragt Sie etwas ungehalten, was Sie denn da bittschön in Erfahrung bringen wollen. Sie sagen Ihren Satz von der Herkunft und Haltungsart auf und lächeln immer noch, als Sie rüde unterbrochen werden, warum Sie das denn überhaupt wissen wollen? Ob Sie etwa glauben würden, dass man Ihnen hier schlechte Ware unterjubeln wollen würde???
Sie fühlen, wie sich die Blicke der anderen Kunden langsam, aber tief in Ihre Seite bohren. Sie atmen einmal tief durch und wiederholen geduldig, dass Sie das mitnichten glauben, sich jedoch dafür interessieren, wo das Stück Fleisch, an dem Sie sich zu laben gedenken, wohl sein Leben fristen musste.
In Kerpen!
Wie, in Kerpen? Ihre Kollegin sagte doch, Sie beziehen die Tiere aus der Eifel?
Die hat keine Ahnung, wir bekommen das Fleisch aus Kerpen.
Also werden die da aufgezogen, und bei Ihnen hier geschlachtet od…
Nein, in Kerpen. WIR BEKOMMEN DIE GESCHLACHTET AUS KERPEN!
Und aus welcher Haltung?
Sie warten auf eine Antwort, doch die Wurstfachverkäuferin spricht kein Wort mehr mit Ihnen. Anstatt dessen rennt Sie sehr geschäftig zwischen Kühlkammer und Schnellhefter hin- und her, Kugelschreiber, Block und Schere fest im Anschlag, während Sie hilflos den eigens mitgebrachten Mann anstarren und sich unter den Blicken fremder Rentner fühlen, als wären Sie lediglich mit einem Jutesack bekleidet und hätten letztmalig vor einer Woche in selbstangebautem Rosmarin geduscht.
Plötzlich springt die Verkäuferin wieder auf Sie zu und klatscht Ihnen ein blutiges Stück bedruckter Folie auf den Tresen, auf dessen Vorderseite ein Post-It mit einer zittrig notierten Telefonnummer klebt. Sie sehen sich tumbes Stück nach dem Zettelwerk greifen und hören die Fleisch- und Wurstwarenfachverkäuferin mit feuchter Lunge sagen, dass Sie sich da informieren könnten, wenn Sie denn unbedingt wollten, und ob es denn jetzt bitte noch etwas sein dürfte? Sie nehmen ihren Puls an der Hand, bedanken sich, bezahlen das Fleisch und verlassen den Laden einen Tick zu schnell. Auf dem nach Weg nach Hause wird Ihnen das Geschehene in aller Breite und Tiefe erst bewusst, und so wiederstehen Sie mehrfach dem Impuls, direkt nochmal zurückzulaufen und der Frau Ihr Kilo Beinfleisch rechts und links ums obere Körperende zu schlagen.
Zu Hause angekommen entziffern Sie die blutverschmierte Mobilfunknummer ohne Namensangabe und identifizieren das Stück Folie als Herkunftsetikett, durch das Sie erfahren: Dieses Rind kam aus Deutschland. Alle anderen relevanten Daten sind leider der Schere zum Opfer gefallen, aber wozu haben Sie schließlich ein Telefon? Schon beim dritten Versuch haben Sie die richtige Nummer gewählt und sprechen mit einem freundlichen Mann mit starker Kerpener Mundart, der Ihnen gerne Auskunft gibt. Über seine Bullenmast. In reiner Stallhaltung. Aber auf Stroh!
So viel also zum Thema artgerecht gehaltenes Eifelrind. Wenn ich das Fleisch der letzten Jahre noch aus meinem Körper pulen könnte, ich würd’s tun. Und das, ja das! Das würde ich der guten Frau dann tatsächlich auf den Tresen spucken. Und mit einem faulen Bio-Ei garnieren.
17:11h
chris82le sagt:
Musste grad sehr lachen, Danke! :) RT @serotonic Wie ich kürzlich meiner Metzgersfrau gern den … http://bit.ly/baYb7S
20:34h
nata sagt:
Lachen kann ich darüber gar nicht. Der lustige Ton im Text dient ja auch nur dem Zweck, nicht über das Erlebte kotzen zu müssen.
Leider sind solche Geschichten viel zu wahr, viel zu häufig und viel zu ernst. Da wundert sich das Handwerk, dass alle Welt nach Bio-Zertifikaten schreit und sägt sich selbst den Ast ab.
So ein feuchter Husten kommt mir regelmäßig dann hoch, wenn tv-Köche rumklugscheißern, da müsse man nur den Metzger oder den Fischhändler fragen, wenn man Sonderwünsche habe. "Der besorgt Ihnen das gerne" heißt es dann. Knochen zersägen? Extra Zuschnitt? Besondere Teile? - Kannste vergessen. Und mit Fragen nach der Herkunft sieht es nicht anders aus.
Solche Läden muss man bestrafen, indem man nie wieder dort einkauft. Da habe ich ein Gedächtnis wie ein Elefant.
20:09h
DieDwarfin sagt:
Härrlisch! RT @serotonic: Wie ich kürzlich meiner Metzgersfrau gern den … http://bit.ly/baYb7S
22:22h
Paule sagt:
Darf ich mitkommen, wenn du das rausgepulte Fleisch auf den Tresen knallst, und dabei genüsslich ein fair getradetes Ben & Jerrys schlecken?
Ich könnte mir grade nichts amüsanteres vorstellen.
Und grundsätzlich:
(Sowas braucht Beherrschung und vielleicht auch Training.) Gaaaaaaanz ruhig bleiben und auf deinem Wunsch bestehen.
Nicht du bist dannkbar, dass du bei deinem Metzger einkaufen darfst, sondern der Metzger, dass du sein Geld zu ihm trägst.
Nicht du bist komisch, sondern die starrenden Rentner sind komisch. Du bist deiner Zeit voraus.
Und wenn du dieses Ladenlokal nie mehr mit deiner Kaufkraft beehrst (wonach es aussieht), lass es den Kaufmann wissen, und vor allem auch warum!
Prost, P. aus K.
10:32h
insideX sagt:
Ich will ein Buch von dir.
09:34h
serotonic sagt:
nata:
Exakt. In allen Punkten.
Paule:
Klar, bist herzlich eingeladen ;)
(Mehr ruhig bleiben war übrigens echt mal nicht drin, ich bin ja kein Maultier. Aber verabschieden werde ich mich auf jeden Fall noch. Die schaufeln ja ihr eigenes Grab, die Rentner kaufen ja nicht mehr ewig den Laden leer.)
insideX:
Wenn es mir doch nur nicht so an Idee und Thema mangeln würde. (herz)
T.M.:
Ja. Aber ich sag auch jedes Mal demütig danke.
12:40h
Paule sagt:
HAHA, genau das mit den Rentnern denke ich mir auch jedes Mal, wenn ich an Merzenich vorbeilaufe. Und frage mich, wie lange es wohl noch dauern wird bis die nicht mehr unser Stadtbild verschandeln..
14:17h
serotonic sagt:
Das wird spätestens so lange dauern, bis wir diese Rolle übernehmen können ;)
20:02h
Paule sagt:
ahso, nee, weil, war ja so, also wie ich das gemeint hab. Das mit ‘die’ und ‘Stadtbild verschandeln’.
Nich die Rentners, sondern Merzenich (einself)! Wie lange es dauert, bis die Merzenich-Rentner ausgestorben sind, Merzennich dementsprechend pleite geht und die Merzenich-Filialen nich mehr unser Stadtbild verschandeln.
So nämlich. HARHAR!
08:04h
Etosha sagt:
"Die feinen jungen Herrschaften, da sind sie nicht einfach dankbar, dass sie sich ein Stück Fleisch leisten können, sondern wollen auch noch wissen, von welchem Tier oder gar aus welcher GEGEND das kommt. Als ob das nicht egal wäre, wenn’s mal auf dem Teller liegt." Kein Wunder, dass die Senioren aus dem Kopfschütteln nicht rauskamen.
Sehr couragiert, Frau Sero, in der Tat. Zum Glück gibt es ja keinen Pranger mehr, doch man muss seine Instinkte von Zeit zu Zeit wieder an diese Tatsache erinnern.
Und sehr flockig erzählt. Ich bin jetzt wach, und der Blutdruck ist mal frühmorgens schon so weit oben, wie er sein soll.
12:25h
serotonic sagt:
Paule:
Jaja, hier, du und die Kurve: Ein Traumpaar. [hihi]
Etosha:
Das Doofe ist ja: Wenn man in so einem Pulk Kopfschüttelnder steht, fühlt man sich ja trotz seiner Überzeugung so fürchterlich falsch. Also ich zumindest. Ich hab dann immer so einen Hang zu Nebensätzen; und dann ärgere ich mich darüber, dass ich mich erklären will. Obwohl da ganz andere Sachen viel erklärunsbedürftiger sind.
Und dann hab ich auch Blutdruck, für Stunden, dabei will ich doch nur eine vermeintlich einfache Auskunft, es ist zum heulen.
12:17h
Etosha sagt:
Das machen wirklich die Instinkte. Vor versammelter Mannschaft ausgeschlossen zu werden, das bedeutete in grauer Vorzeit den sicheren Tod.
Du hast dagegen angekämpft und bist für deine Überzeugung eingestanden. Ob du das nun in Nebensätzen tust oder nicht, das ändert nichts an deiner Couragiertheit. Natürlich ginge es immer noch besser - aber darauf kommts nicht an. Du bist nicht falsch, du bist du - und das ist gut so.
15:12h
mkh sagt:
Die Metzgereidame scheint´s mehr gewohnt, mit totem Fleisch zu kommunizieren. - Emotionale Verstimmung gut nachvollziehbar!
Test Test … klappt das jetzt mit dem Komentar???
15:13h
mkh sagt:
Hey! Klappt ja!!! (Hatte das früher mal vergebens versucht, das Kommentieren hier.)
18:30h
serotonic sagt:
Oje, erfolglose Kommentarversuche sind doof. Die gab’s hier aus Gründen oft – das ist aber Vergangenheit und tut mir leid. Freut mich, dass du’s nochmal versucht hast :)
09:42h
Etosha sagt:
Tüdeldü? Zu viele unliebsame Suchfipstreffer?
13:51h
serotonic sagt:
Jawoll, in rauen Mengen und kunterbunten Varianten; ich hab auch ein Edit druntergepackt. Haltichjaimkopfnichaus!
12:56h
Etosha sagt:
Hmpf. Ist manchmal frustrierend, dass man nichtmal schreiben kann, wie einem grad zumute ist.
Aber raue Mengen wirken viel glatter, wenn man sie ohne h schreibt. Die neue Rechtschreibung ist seltsam.
13:18h
serotonic sagt:
Na, ich könnt ja Google durchaus rausschmeißen, anstatt mich selbst zu zensieren ;D
(Oha! Ich bin anscheinend schon so an die neue Rechtschreibung gewöhnt, dass ich es intuitiv ohne h geschrieben habe, aber jetzt wo du ’s sagst: Irgendwie kastriert schauts aus!)
13:52h
bastian sagt:
Bezaubernd geschrieben. Merci.
01:18h
Bachsau sagt:
Naja, sterben wirst du nicht dran. Aber ich hätte die gute Frau gleich gefragt, ob sie Lust hat, einen Bericht über die freundliche Unterhaltung mit ihr übermorgen im örtlichen Klatschblatt zu lesen. ;)
Und da hätte ich die Fakten die sich aus diesem Anruf ergaben dann ebenfalls abgedruckt. Du bist einfach viel zu lieb.
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