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29. Dez 2010 Bücher 2010 (III)
Zusammen ist man weniger allein
Anna Gavalda (Autorin), Ina Kronenberger (Übersetzerin)
★★★★☆☆☆☆☆☆
Ich habe ja keinen eigenen Geschmack, was Bücher angeht. Obwohl ich als Kind und Teenager gut 70 Prozent meiner Freizeit mit Lesen zubrachte, habe ich die Jahre nach der Schule bis Ende letzten Jahres so gut wie gar nicht gelesen. Ich weiß also gar nicht so genau, was der ausgewachsenen serotonic an Lesestoff gefällt, und ob ich überhaupt eine bestimmte Art von Unterhaltungsliteratur bevorzuge. Daher griff ich versuchsweise einmal blind in das Bücherregal meiner anderen großen Liebe, und bekam Zusammen ist man weniger allein zu fassen.
Es stellte sich schnell heraus, dass dieser Griff für mich persönlich daneben ging. Jetzt ist Zusammen ist man weniger allein sicher kein schlechtes Buch, ich steh nur leider überhaupt nicht auf kitschige Betroffenheitsromantik. Die etwas zerfasert anmutende Geschichte dreht sich um 4 Menschen, die – jeder auf seine eigene Art – völlig kaputt sind, verweilt bei der Theorie von Kaputtheitsbewältigung durch selbstgewählte Familie, macht Halt bei Station Trauerbewältigung und gipfelt schlussendlich in einem geradezu disney-esquen Zufriedenheitscrescendo. Völlig korrekt titelt ein Rezensent bei Amazon „Spritzig, einfühlsam, positiv. Endlich wieder ein ehrlicher Mutmacher“ – und ich muss ein bisschen darüber grinsen, dass man mit so wenigen, darüber hinaus durchweg wohlgemeinten Worten zusammenfassen kann, warum ich ein Buch ausgesprochen ätzend finde.
Porgy
DuBose Heyward (Autor), Renate Orth-Guttmann (Übersetzerin)
★★★★★★☆☆☆☆
Ich hatte diesen Sommer das erste Mal die Gelegenheit, einer Oper zu lauschen, und fand es als Einsteiger ganz glücklich, dem trotz durchkomponierter Form als musicalhaft verschrienen „Porgy und Bess“ beigewohnt haben zu dürfen. Da ich auf der musikalischen Seite meines Herzmuskels nicht völlig taub bin, hat mich die Oper derart ergriffen, dass ich auch das Buch lesen wollte, auf dem die Geschichte basiert. Kurzerhand kaufte ich die unglaublich hübsche, wenn auch schweineteure Manesse-Ausgabe und fand’s unterm Strich so naja.
Die Geschichte des in orthopädischer Hinsicht beeinträchtigten Bettlers, der ganz überraschend liebt und wiedergeliebt wird, nur um am Ende wieder verlassen zu werden, liest sich wie ein Gemälde mit Überlänge. Eigentlich sind Zeit und Ort wunderschön beschrieben, wenn man sich einmal an all die politisch unkorrekt anmutenden Begriffe gewöhnt hat, und das Wachsen und wieder Zusammenfallen des Mannes Porgy kommt einem im Rückblick so vor, als hätte sich ein Herzmuskel nur einmal kurz zusammengezogen, obwohl es einen Sommer gedauert hat, in dessen Tagen ein ganzes Leben vergangen ist. Porgy hat seine ganz eigene Poesie, aber es hat mich längst nicht so berührt, wie die gesungenen Zeilen.
Befremdet hat mich das Nachwort von Michael Naura. Ich habe vergessen, warum.
Eine Billion Dollar
Andreas Eschbach
★★★★★★☆☆☆☆
In Eine Billion Dollar erbt der ahnungs- und motivationslose John überraschend genau das, was auf dem Titel steht: Eine Billion Dollar. Und das ist kein Übersetzungsfehler, sondern wirklich so gemeint. Es entspannt sich eine durchaus spannende Geschichte, die über 500 Jahre in die Vergangenheit zurückgeht und die Zukunft der Menschheit im Fokus hat, während der Protagonist zum Spielball von Macht und Einfluss wird, obwohl er derjenige ist, der das passende Geld dazu besitzt.
Ich habe mich noch nie über so viele Seiten hinweg mit den Themen Macht und Finanzen beschäftigt, und so hat Eine Billion Dollar auf größtenteils unterhaltsame Art einige Wissenslücken geschlossen. Der Teil, der nicht unterhaltsam war, befand sich in der Mitte des Buches; ich fühlte mich geradezu wie damals beim Mathe-Nachhilfeunterricht, der Stoff war zäh und die Storyentwicklung machte ein Nickerchen. Garvin überzeugte mich nach fast 2 Wochen Pause, weiterzumachen und durchzuhalten, und er hatte völlig Recht damit. Eine Billion Dollar hat mir unterm Strich trotz dürftiger Charakterzeichnung und oft inkonsequenter Erzählstrangauflösung gut gefallen, obwohl ich meine Hand dafür ins Feuer gelegt hätte, dass mir das Thema an sich schon gar nicht liegt. Einen ganzen Punkt muss ich übrigens für das in gleich mehrfacher Hinsicht wirklich grauenvoll schlechte Ende des Buches abziehen, da bin ich unversöhnlich und komme mir vom Herrn Eschbach persönlich völlig verarscht vor.
Eine Billion Dollar war ein Geschenk von Garvin. ♥!
Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch
Michael Ende
★★★★★★☆☆☆☆
Operation »Kinderbücher entzaubern«, Teil 1. Das waren ein, zwei sugarsweete Nachmittage mit einem Buch, von dessen Zeichnungen, wie sich herausstellte, mehr hängengeblieben war, als von der Geschichte selber. Und die wäre: Der Zauberrat Irrwitzer und seine Tante Tyrannja Vamperl wollen mittels des titelgebenden Wunschpunsches die Welt zu einer höllisch hässlichen Ödnis machen, und es liegt in der Hand des Katers Maurizio di Mauro und des Raben Jakob Krakel, das zu verhindern, aber doch bitte noch bevor es in dieser Silvesternacht zwölf schlägt, und zwar aus Gründen.
Ich bin mir nicht sicher, ob es eine gute Idee war, das Buch nochmal zu lesen; ich hatte es irgendwie komplexer in Erinnerung, wobei es doch in Wirklichkeit pädagogisch wertvoll und harmlos ist.
Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch war ein Geschenk von bereits oben angesprochenen anderen großen Liebe. ♥!
Wer die Nachtigall stört
Harper Lee (Autorin), Claire Malignon (Übersetzerin)
★★★★★★★★★☆
Ach, toll. Was ich so alles verpasst habe in den letzten Jahren! Wer die Nachtigall stört beschreibt einen Teil der Kindheit des Mädchens Scout, die mit Ihrem Bruder Jem in den Südstaaten der USA um 1930 herum aufwächst – und zwar genau den Teil der Kindheit, in dem sie freiwillig entdeckt und entdecken muss, dass die Welt nicht so einfach ist, wie sie einem oft erscheint. Ihr Vater, Freund und Vertrauter, Atticus Fink, vertritt als Pflichtverteidiger den schwarzen Arbeiter Tom Robinson, der eine weiße junge Frau vergewaltigt haben soll – und erledigt diesen Job mit wesentlich mehr Engagement, als es zu der Zeit üblich ist und der weißen Gesellschaft schmeckt, mit weitreichenden Folgen für sich und seine Familie. Die Figur des Atticus Fink hat es mir so sehr angetan, dass ich zutiefst bedauere, ihn niemals persönlich kennenlernen zu können. Und was Scout angeht: Es ist mir ein Rätsel, wie ein erwachsener Mensch eine wache, unverstellte Kinderpsyche so unverfälscht und umfassend glaubwürdig wiedergeben kann. I like, aber sowasvon.
(Ich erfahre im Übrigen immer erst hinterher, wenn ich etwas in den Händen halte, das allgemein als »Klassiker« bezeichnet wird. Woher auch, für mich sind die neu.)
Wer die Nachtigall stört war ein Geschenk vom Mann. ♥!
(Aller guten Herzen sind drei.)
21:55h
Kiki sagt:
Hach, es ist nie zu spät für mein Lieblingsbuch! Siehe auch http://e13.de/archives/3933. :-)
22:22h
serotonic sagt:
Ha! Bei dir hatte ich das also entdeckt! Ich hatte schon einige Bücherstöckchenlisten quergesichtet, weil mir leider völlig entfallen war, wer so überzeugend über das Buch geschrieben hat, dass ich es sofort auf meine Wishlist setzen musste. Toll-O-Mat und dankeschön fürs Anstecken!
13:31h
Rheinsberg sagt:
Auch eines meiner absoluten Lieblingsbücher. Vor vielen Jahren - ca. 35 - schaffte ich es, beim Abspann des Filmes den Namen der Schriftstellerin abzupinnen, so dass ich mir das Buch wünschen konnte.
Der Film ist i.Ü. auch ein Klassiker - ich mag oft keine Filme zum Buch, aber dieser hier ist gut.
13:15h
P.W. sagt:
Du weißt aber schon, dass in "Eine Billion Dollar" nix anderes verwurstet wird als die alte Mär, dass man das "böse" Kapital in ein ein "gutes", bodenständiges, "schaffendes" und ein "böses", internationales, "raffendes" Kapital (—> ergo "die Juden") unterscheiden könnte?
Und diese "Analyse" ist Gott sei Dank widerlegt.