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25. Okt 2012 Causa Textklau
Ich habe gerade etwas völlig verrücktes getan. Etwas, was mich finanziell ganz arg in Bedrängnis bringen könnte. Etwas, das wir alle tun sollten: Ich habe mich gewehrt.
Im Sommer 2010 hatte ich meinen ersten richtigen Auftrag als Texter. Zwar hatte ich schon vorher das eine oder andere Sätzchen für Kundenprojekte geschrieben, aber nie nach konkretem Auftrag, eher aus der Not heraus – denn wer schaltet schon gerne frisch gebackene Websites mit Blindtexten online? Nun, fortan wollte ich mich für diese Leistung bezahlen lassen, und so kam es, dass ich ein komplettes Webprojekt betextete. Ich legte mich hart ins Zeug, die Abgefahrenheit modernster Klimatechnik nicht nur so flockig wie möglich zu transportieren, sondern auch so keyworddicht, wie es der Anstand nur zulässt. Mit Erfolg: Die Website belegt seither beharrlich den ersten Platz bei Google zu den wichtigsten Begriffen am Ort und beschert meinem Auftraggeber regelmäßig frische Kundschaft.
Dann kürzlich, ich saß bei Tee, Mann und Seriencontent auf der Couch, flatterte mir eine ungewöhnlich aufgeregte E-Mail ins Haus – mein Kunde war auf die Website eines anderen Klimatechnikers gestoßen, auf der ihm etwas Wesentliches nur allzu vertraut vorkam: Die Texte. Fünf an der Zahl, fast 1:1 kopiert; lediglich ein paar Sätze waren umgestellt, um ein paar Substantivierungen erweitert oder um ein Adjektiv beschnitten. Und diese fünf Texte waren im Großen und Ganzen alles, was auf dieser Website an formuliertem Inhalt vorhanden war. Dä!
Zuerst überkam mich der Impuls, die Angelegenheit persönlich und gütlich, mit einem netten Anruf vielleicht, klären zu wollen – zu oft hatte ich mich über die Abmahnpraxis in Deutschland aufgeregt, die ein prima Geschäftsmodell aus unbedarften Menschen macht. Aber das hier, das war kein Privatmensch, der einen Blogartikel mit einem meiner Gemüsekistenfotos illustrierte! Das hier war mehr. Hier ging es um meinen Lebensunterhalt, meine Miete, mein Käsebrot, und es dauerte eine ganze Nacht, bis ich richtig begriffen hatte: Da hat dich jemand bestohlen. Da benutzt gerade jemand deine Arbeit, um selber erfolgreicher zu werden und bereichert sich an deinem Können, an deinem Herzblut. Einfach so, für jeden mit Internetzugriff sichtbar, ohne jede Scham.
Netterweise halfen mir am nächsten Tag viele liebe Menschen aus Facebookville und Kleinbloggersdorf, Klarheit in Sachen Rechtslage zu erlangen und einen Anwalt zu finden – und nur kurz darauf machte sich eine Abmahnung mit der Forderung nach Unterlassung und Schadensersatz auf den Postweg.
Als Antwort erhielten wir eine E-Mail des Anwaltes der gegnerischen Partei mit der Bitte um Fristverlängerung – die Internetseite wäre nicht in Eigenregie erstellt worden, man würde das erst klären wollen. Außerdem ließ man anklingen, dass man meine Urheberschaft anzweifle. Wir stimmten der Fristverlängerung zu und übersandten Angebot und Rechnung des Auftrages als Urhebernachweis. Die Texte blieben unverändert bei der Gegenseite online.
In der nächsten E-Mail bestritt man meine Ansprüche, denn die notwendige Schöpfungshöhe der Texte wäre nicht gegeben – man hätte jedoch vorsorglich und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht etc. die Texte geändert. Außerdem wurde meine Urheberschaft an den Texten weiterhin angezweifelt und versucht, Verwirrung zu stiften, indem man einfließen ließ, dass »selbst wenn ich die Texte erstellt hätte, die Nutzungsrechte an meinen Kunden übergegangen seien«. Des Weiteren drohte man meinem Kunden indirekt mit der Frage, ob er im Zusammenhang mit meiner Beschäftigung auch Beiträge an die Künstlersozialkasse entrichtet hätte (Sollte dieses nicht erfolgt sein, wird sicherlich [Mein Kunde] die Beträge noch nachentrichten.
)
Bämm.
Da weigert sich die werte Gegenseite nicht nur, eine Unterlassungserklärung abzugeben, sondern kommt auch noch mit Drohgebärden daher. Natürlich habe ich nicht damit gerechnet, dass man freundlich Ups, hihi, erwischt! Tut uns leid, und hier ist ihr Geld
als Antwort flötet – die Widerlichkeit dieses Gebarens hat mir aber dennoch eine hübsche Kiefersperre beschert. Ein Blick auf meine gewerbliche Website verrät ziemlich schnell, dass ich eine eher kleine Nummer bin, eine Einzelunternehmung. Eine, die sicherlich das Risiko nicht eingehen kann, vor Gericht zu verlieren(*) und auf den Prozesskosten sitzen zu bleiben. Und damit haben sie auch verdammt recht.
Tatsächlich kann ich es mir nicht leisten – denn wenn ich Pech habe, es bei der Einstweiligen Verfügung zur mündlichen Verhandlung kommt und sie dennoch nicht erlassen wird, bin ich auf einen Schlag einen Betrag los, der in etwa den Einkünften eines ganzen Quartals entspricht. Ohne mündliche Verhandlung wäre ich schon mit zwei Monatseinkommen dabei. (Den Artikel über die Einkommen-Aufwandsschere in der Selbständigkeit schreibe ich ein andermal, wenn’s recht ist.) Jedenfalls hat mich die Gegenseite am Wickel: Entweder gehe ich ein schwer kalkulierbares Risiko ein, oder ich lasse den Textdieb ungeschoren davonkommen. Pest oder Cholera. Pleiteangst oder Hohn.
So bitter die Entscheidung schmeckte – eigentlich hatte ich sie schon gefällt, als ich gestern bei Facebook mein Leid klagte. Ich würde nicht das bisschen Rücklage verpokern, das ich mir so hart erarbeitet hatte. Ich würde mich nicht in die Lage bringen, zusätzlich einen Kredit aufnehmen zu müssen. Ich würde mich vielmehr in die Rolle des Verlierers fügen und mit dem Umstand trösten, dass die Texte wenigstens nicht mehr online wären.
Aber dann passierte etwas Wundervolles: Es kamen Menschen, die sagten: Ungeschoren geht gar nicht. Frechheit gehört bestraft
und Durch wie viele Helferlein müsste man denn drei Monatseinkommen teilen, um das Risiko erträglich zu machen?
und Pass auf… du machst das jetzt und wenn du verlierst, zahlen wir alle mit
. Das hat mich umgeworfen. Das fand ich so derartig groß, dass ich meinen Entschluss fast umgehend wieder gekippt und mir erlaubt habe, eine Nacht über die Sache zu schlafen, um mich mit dem Risiko anzufreunden. Und das lag gar nicht so sehr an der Hoffnung, dass der finanzielle Rückhalt mir tatsächlich gewährt werden würde, würde ich auf dem Rechtsweg scheitern – sondern an dem Mut, den mir diese Geste gemacht hat.
Und deshalb habe ich gerade etwas völlig verrücktes getan: Ich habe meinen Anwalt gebeten, eine Einstweilige Verfügung zu beantragen. Wünscht mir Glück.
(* Über die Schutzfähigkeit von Werbetexten)
12. Nov 2012: Wir haben die Einstweilige Verfügung!
30. Dez 2012: Die Gegenseite legt Widerspruch ein.
31. Jan 2013: Die Gegenseite verkündet ihrer Agentur den Streit und das Gericht kündigt an, den Widerspruch abzulehnen.
24. Mai 2013: Ein Vergleich kommt zustande. Hurra!
17:18h
J sagt:
Ich wünsche viel Erfolg!
17:25h
Anne sagt:
Glück, Erfolg, Kraft, einen supertollen Anwalt wünsche ich. Und etwas pathetisch: Auf dass die Gerechtigkeit siegen möge.
Ansonsten sitzen hier die kleinen Helferleins und harren aus der Dinstanz der Dinge, die da kommen mögen.
17:28h
Trotzendorff sagt:
So oft es meine Arbeit und meine Freizeit erlauben, werde ich mit gedrückten Daumen durch die Welt rennen. Machen Sie denen die Hölle heiß! Und wenn es doch schiefgeht: Ich bin dabei.
17:33h
Verena sagt:
Wow!! Respekt!!! Viel Glück!!! Bin gespannt, was dabei rumkommt.
17:43h
Frau Meike sagt:
Ich bin ja sowieso der Meinung, dass man sich viel öfter/mehr gegen Ungerechtigkeit wehren sollte. Gleichwohl kenne ich die Situation, dass man gerne würde, aber aus finanziellen Gründen nicht kann, nur zu gut.
Ich finde, Du machst das ganz doll richtig. Und wenn der Richter das nicht findet, dann steuere ich gerne 47 Pfennig dazu. Oder wieviel es halt braucht, um Dir über die Ätzendheit der Welt hinwegzuhelfen.
Drückung.
17:43h
Johannes sagt:
Ich übertreibe wohl nicht, wenn ich behaupte, ganz Blogistan und darüber hinaus stehen hinter dir und deiner Entscheidung und wünschen dir ganz, ganz großen, weil verdienten Erfolg. Im Zweifel bin ich ganz Blogistan.
17:49h
Nora sagt:
Saugut!
18:35h
creezy sagt:
Kannst Du hier nicht ein PayPal-Konto oder so verlinken, damit wir Dir ein bisschen finanzielle Unterstützung zukommen lassen können?
19:43h
serotonic sagt:
Ach, ihr. Wenn ihr wüsstet, was mein Herzchen wegen eurer Mutmachung und eures Beistands bubbert ❤
creezy, wenn ich erfolgreich bin mit der Sache, muss die Gegenseite alle Kosten tragen – falls nicht, bin ich dran. Sollte es soweit kommen, komme ich gerne auf euer Angebot zurück. Ich werde euch auf dem Laufenden halten. Danke!
19:47h
adelhaid sagt:
stehe bereit! zunächst mit gedrückten daumen und später ggfs weiterer hilfe!!!
22:05h
Stefan sagt:
Wenn Sie eine aufgebrachte Menschenmenge vor einem Gerichtsgebäude benötigen: Schaffen wir auch! Sie dürfen sogar die hochzuhaltenden Schilder und Transparente selbst betexten, harhar!
22:52h
Uschi Ronnenberg sagt:
Bin dabei - in allen notwendigen Einzelheiten. Und drücke alle Daumen!
08:36h
Kiki sagt:
Richtige und mutige Entscheidung, solchen Typen gehört das Handwerk gelegt. Wäre im Zweifel auch dabei, wenn es schiefgehen sollte. Wird es aber nicht.
12:55h
serotonic sagt:
Ihr seid toll, auch euch muss ich mit Herz bewerfen: ❤
Vielen lieben Dank!
16:10h
Roland sagt:
Zu überlegen wäre auch (und sicher hast du das überlegt): man kann das zur Not ja dann auch öffentlich präsentieren, wie dieser Textklau aussah und wo er konkret auftauchte durch entsprechende Versionsvergleiche und Nennung der Firma / Webseite.
Würde ich jetzt auch nicht sofort so machen, weil auch nicht unproblematisch / ungefährlich (etwa, wenn dein Kunde gar keine Öffentlichkeit dazu haben will oder auch die Gefahr des undifferenzierten Shitstormens - weshalb man so Dinge dann selbst sicher so nüchtern wie möglich machen müsste usw). Aber als eine Option würde ich mir das schon noch im Köcher halten.
19:20h
Sven sagt:
Ich wünsche dir auch viel Erfolg bei der Klage. Es ist doch egal ob es ein Werbetext, ein Gedicht, eine Kurzgeschichte oder eine andere Art von Artikel ist. Du hast die die Arbeit gemacht diese Artikel zu erstellen, du hast sie deinem Kunden zu Verfügung gestellt und nur dieser hat das Recht, diese Texte zu verwenden. Tut es wer anderes, dann hat er dich danach zu fragen und dann hat er auch dafür zu bezahlen, dass du ihm ähnliche Text erstellst, denn die gleichen wird er mit Sicherheit nicht verwenden können.
Wie schon gesagt, ich wünsche dir viel Erfolg, denn das Recht auf eine friedliche Einigung hat er schon lange verloren.
10:06h
Monika sagt:
Daumen gerückt auch von hier. Und auch als Nicht-Blogger gehöre ich zu Blogistan, wenn’s drauf ankommt.
14:17h
serotonic sagt:
Roland, ich habs nicht so mit dem Pranger. Da müssten schon noch ganz andere Argheiten kommen, damit ich bereit wäre, so eine Welle loszutreten – zum jetzigen Zeitpunkt ist es ja eher noch ein Sturm im Wasserglas.
Sven, das, was du schreibst, entspricht absolut dem natürlichen Rechtsempfinden (meinem sowasvon inbegriffen!), aber leider nicht der Rechtslage. Ich hab da unterm Artikel was zu verlinkt.
Monika, Dankeschön!
23:46h
Bachsau sagt:
Das ist nicht verrückt. Das ist einfach richtig. Irgendwann kommt der Punkt wo man einfach daran glauben muss, dass die Wahrheit die längeren Beine hat. Welcher Text zuerst online war, lässt sich wahrscheinlich auch irgendwie nachweisen. Wenn die einmal mit ihrer Einschüchterungstaktik durchkommen, machen die auch so weiter.
Einen guten Anwalt kann man in dieser Fall auch an seiner Reaktion erkennen: Wenn er sich nicht sicher ist, dass er für dich den Sieg holen kann, such dir einen anderen!
Und fühl dich nicht Schuldig, wegen der Abmahn-Industrie. Es gibt schon einen Unterschied, zwischen denen, die nur Geld auf Kosten anderer machen wollen, und denen, die ihr Werk zu Recht verteidigen. Besonders, wenn ein Lebensunterhalt davon abhängt.
23:51h
Bachsau sagt:
Allerdings, warum gehst du den Rechtsweg? Das sollte dein Kunde tun.
11:34h
Bodecea sagt:
Viel Glück wünsche ich dir!
Das mit der Künsterlsozialkasse ist imho Quatsch, beitragspflichtig bist du da nur, wenn du hauptberuflich selbstständiger Künstler bist, als REINER PR-Texter wäre das schon Grauzone und als Webseitengestalterin, die auch mal einen Text verfasst (wenn ich die Lage richtig erfasst habe), bist du ganz normale Freiberuflerin, et fini. Du DARFST nicht mal in die KSK wenn du ein anderes Gewerbe hast ODER sozialversicherungspflichtig beschäftigt bist, wenn du wolltest.
Alles Liebe
Bodecea
13:58h
serotonic sagt:
Bachsau, weil ich der Urheber bin und meinem Kunden die Nutzungs-, nicht die Verwertungsrechte eingeräumt habe.
Bodecea, das war damit auch gar nicht gemeint. Wenn ein Unternehmen (regelmäßig) künstlerische Leistungen von Freiberuflern/selbständig Arbeitenden in Anspruch nimmt, muss es eine entsprechende Abgabe an die KSK leisten. Das weiß kaum jemand, und ich weiß es auch nur, weil die KSK mal einen meiner Kunden in die Zange genommen hatte. Die Gegenseite hat also indirekt mir damit gedroht, dass, wenn ich die Angelegenheit weiter verfolge, mein guter Kunde Ärger mit der KSK bekommt.
(Mit der Abwicklung dieser Abgabe hat der »Künstler« selbst auch überhaupt nichts zu tun – und dass die Leistungen, die er erbringt, zu einer Abgabepflicht seitens seines Auftraggebers führen, begründet auch noch lange keinen Anspruch auf eine Aufnahme in die KSK. Völlig bekloppt, das alles.)
13:55h
Chikatze sagt:
Alles Gute!! Toll, dass Du so viele Menschen hinter Deinem Rücken hast, die Dir helfen wollen! Und vielleicht gewinnst Du ja sowieso. Bestimmt!