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25. Jan 2014 Also gut. Reden wir über Fleisch.
Persönlich ist das neue Schwarz//Wichtig ist, was oben reinkommt//Zur Sache, Mann!// 27 Kommentare
Was den Tod angeht, kam ich ohne Berührungsängste zur Welt. Ein toter Körper ist nun mal, was er ist: Tot. Leb- und gefühllos. Knochen, Muskeln, Fett, Haut, Blut. Nichts, wovor es sich zu fürchten oder zu ekeln lohnt. Und so mauserte ich mich früh zur begeisterten Weihnachtsgansbeauftragten, entnahm die verbliebenen Organe, wusch den Körper, steckte ihn auf meinen Arm und ließ ihn zappeln. Nichts knabberte ich so gerne ab wie Knochen: Koteletts, Eisbein, T-Bone-Steaks. Schälrippchen, Hasenkeule, Hühnerflügel. Lediglich um Fischgräten machte ich einen weiten Bogen, was mehr mit Erstickungsangst denn Ekel zu tun hatte. Dafür knackte ich Schalentiere aller Art mit beachtlicher Wonne. Ich aß alles, was mir vorsetzt wurde mit großem Genuss und bar jeder Sorge, dass etwas Fühlendes durch mich verletzt werden könnte.
Als ich dann in die Augen der Kuh sah, die auf gebrochenen Läufen zur Laderampe getrieben wurde, muss ich zehn oder elf Jahre alt gewesen sein. Es war Anfang der 90er, und die Praktiken, mit der Tiere massenhaft durch die EU gekarrt wurden, waren erstmals Thema zur besten Nachrichtenzeit. Ich weinte heiße Tränen auf mein Schinkenbrot, das nur wenig mit der Kuh zu tun hatte, dafür aber schön satt machte und schnell tröstete.
Im omnivoren Paradies // Iss das Hackfleisch
Und auch die nächsten Jahrzehnte nahm Fleisch seinen ganz selbstverständlichen Platz auf meinem Teller ein. Rotes Fleisch, weißes Fleisch, Bärchenwurst, Fisch, Insekten, Meeresfrüchte: Es gab nichts, was ich nicht aß, nichts, was ich nicht gewillt war, zumindest zu probieren – und ich schwöre, ich hätte selbst Hund gegessen, wenn er mir denn angeboten worden wäre. (Meinen eigenen natürlich ausgenommen, beste Freunde isst man nicht.)
Und ich gefiel mir in der Rolle des unkomplizierten Essers. Mit mir konnte man endlos schlemmen, alle Herrlichkeiten genießen und kosten, was das Herz begehrte – bedenkenlos und unbeschwert.
Doch mit der Zeit sickerte immer mehr bittere Nutztierrealität in meine rosige Konsumentenwelt: Reportage reihte sich an Diskussion reihte sich an Skandal (erst Fleisch, dann Milch, dann Fisch, dann Eier) und auf einmal war die Wahrheit nicht mehr irgendwo in der EU unterwegs, sondern saß mit mir am Tisch. Ich wusste so viel mehr über das Produkt auf meinem Teller, dass mir der ganze Sachverhalt fast schon abstrakt erschien. Surreal. Die Idee einer Vorgeschichte machte sich zwar breit – aber ach! Auf keinen Fall durfte es eine direkte Verbindung zu mir geben. Unvorstellbar, dass etwas Fühlendes durch mich verletzt worden war.
Omnomnom ftw
Da war ich also nun, vollgepumpt mit Wissen, und änderte rein gar nichts. Ich machte mir vor, nur ehrlich zu sein, wenn ich angesichts grasender Kühe verzückt ausrief, welch herrliche Steaks dort weiden würden. Und wenn wir keine Tiere essen sollen, warum sind sie dann so lecker? Hahahaha! Außerdem litt ich eh an Eisenmangel, mein Körper ließ mir im Grunde keine Wahl; die Biologie bestimmt unser Verhalten und ich brauchte mein Fleisch. Außerdem aß ich eh nicht jeden Tag welches, und wenn, dann von der Metzgerei meines Vertrauens. Und Eier? Die kaufte ich eh immer bio. Wenn ich heute darüber nachdenke, hatte ich wohl schlicht das Mitgefühl kaputt.
Ein bisschen wie Salamitaktik, nur halt andersrum.
All das Wissen hat mir nicht geholfen, über den engen Rahmen meiner persönlichen Erfahrung hinauszusehen. Es hat über zwanzig Jahre und eine Vielzahl von Schlüsselmomenten gebraucht, bis ich den Mut fand, die Angelegenheit persönlich zu nehmen.
Ich musste erst einer Jungkuh die malerisch sonnengeküsste Stirn kraulen und das nummerierte Etikett in ihrem Ohr berühren, um zu verstehen, dass die anonyme Masse von Nutztieren aus Individuen besteht. Ich musste gedankenverloren von meinem Einkaufszettel aufblicken, um die endlos langen, randvollen Tiefkühltruhen wahrzunehmen und zu erfassen, wie viele Tierprodukte wir Menschen wirklich verzehren. Ich musste die panische Angst unserer krebskranken Katze im Moment der Euthanasie erleben, um zu begreifen, die unbarmherzig es ist, ein fühlendes Wesen ohne jede Not in den Tod zu schicken. Und ich musste Foers Tiere essen lesen, um am Ende zu verstehen, dass etwas Fühlendes durch mich verletzt wurde.
</tiere essen>
Es gab nie einen konkreten Entschluss – ich habe einfach aufgehört, Fleisch zu essen, und seither sind fast zwei Jahre vergangen. Rechnete ich anfangs noch mit gelegentlichem Aufkommen blutiger Steaks, merkte ich schnell, dass die Katze für mich aus dem Sack war: Fleisch und Tier, Milch und Mutter, Ei und Huhn wurden in meinem Weltbild wieder zur Einheit.
Ein halbes Jahr, nachdem ich das letzte Stück Fleisch gegessen hatte, verzehrte ich den letzten Fisch. Milch, Joghurt, Sahne & Co. hatte ich Jahre zuvor schon von meinem Ernährungsplan gestrichen; sie schlagen mir auf die Atemwege. Seit einigen Monaten sind auch Eier kein regelmäßiger Bestandteil meiner Ernährung mehr. Was bleibt, ist ein bisschen alter Käse.
„Fehlt dir denn nichts?“
An einem der letzten Herbsttage gingen die engste Vertraute und ich spazieren, und während unsere Körper lange Schatten auf den Wegrand warfen, erörterten wir, was das alles mit mir gemacht hatte. Wohin das noch führen würde. Und ob mir vielleicht nicht doch etwas fehlte. Ich habe Ja gesagt.
Mir fehlen Gummibärchen. Gummibärchen aufgeben zu wollen war für mich ein harter Schlag, vielleicht weil sie in jeder Hinsicht am weitesten vom Tier entfernt sind. Vielleicht habe ich sie auch nur für mein Leben gern gegessen.
Was mir jedoch viel schmerzlicher fehlt, ist die Unbeschwertheit. Ich gäbe einiges um einen Resetknopf, der all das Leid, die Zerstörung, den Raubbau und den Wahnsinn ausradiert und mir mein unbekümmertes Dasein wiedergibt. Doch egal wie sehr ich die Unbeschwertheit vermisse: Ich bin froh über den Weg, den ich jetzt gehe.
Nie zuvor habe ich so viel über den Menschen gelernt, der ich bin – und über den, der ich gerne wäre. Vielleicht hätte ich nie erfahren, wie groß die Diskrepanz zwischen den beiden ist. Und wie stark es mich gemacht hat, mich den eigenen Monstern zu stellen.
Friends, not food.
Und doch: Es geht bei der ganzen Sache nicht um mich – nicht um meine Entwicklung, nicht um meinen Geschmack, nicht um meine Gesundheit. Es geht um das Leben und Wohlergehen eines jeden Tieres, das unseren Vorstellungen von Lebensstil und Moral ausgeliefert ist.
Ein Freund warf mir einmal vor, meine Kritik an der Nutztierhaltung wäre die eines verwöhnten westlichen Kindes. Nachdem die reflexhaft aufsteigende Zornesröte langsam nachgelassen hatte, musste ich leider zugeben, dass er in vielerlei Hinsicht Recht hatte:
Ich führe ein ungemein privilegiertes Leben. Meine Nahrungspalette ist reich an Auswahl, fremdgeerntet, vorgewaschen, weitestgehend keimfrei und jederzeit verfügbar. Außerdem lebe ich in einer Zeit, in der ich trotz rein pflanzlicher Ernährung genussvoll essen und keinen Mangel leiden muss. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, ein verwöhntes Kind zu sein – vor allem, weil man sich selbst in die Verantwortung nehmen kann.
Hallo, ich möchte mit Ihnen über Fleisch reden.
Bis hierhin habe ich nur von mir gesprochen, war auf Besonnenheit bedacht, habe keinen Druck ausgeübt und keine Spiegel dargereicht. Ich wünschte, ich könnte auch am Ende dieses Textes dabei bleiben, und sei es, um mich dem Vorwurf missionarischen Gebarens zu entziehen.
Bis vor wenigen Monaten wäre mir das vielleicht noch gelungen, denn es ist mir tatsächlich einerlei, wie andere Menschen ihr Leben führen. Ich halte mich weder für den Messias, noch für nennenswert erleuchtet, und es ist mir geradezu unangenehm, dass der Gegenstand meines Anstoßes so eng an die persönliche Lebensgestaltung Anderer gekoppelt ist. Mir geht nur mehr und mehr die Geduld aus, je länger ich mich mit dem Thema beschäftige und je mehr ich weiß. Und dabei ist es nicht meine persönliche Überzeugung, die mich radikalisiert, sondern die Realität.
So sehen wir uns reihenweise Splatterfilmchen an und genießen den aufregenden Kitzel des Horror-Genres, während wir Produkte essen, deren Entstehungsbedingungen den Leinwandsadismus zum Ponyhof degradieren. Und ich will einfach, dass das aufhört. Freilich nicht die Splatterfilmchen – sondern der alltägliche, millionenfache, echte Horror. Am besten jetzt, am besten sofort; ich möchte zetern, schreien und all den ach so erwachsenen Menschen ihre Bratwurstbrötchen gewordenen, ach so erwachsenen Kaufentscheidungen aus der Hand schlagen. Es ist meine eigene, zwanzig Jahre flache Lernkurve, die meinen sendungsbewussten Eifer im Zaum hält.
Aber ich kann und will nicht mehr stumm dabei zuzusehen, wie wir fühlenden Lebewesen alles nehmen, was unser eigenes Leben lebenswert macht: Einen gesunden Körper, beispielsweise. Oder elementare Dinge wie Bewegungsfreiheit, frische Luft und Sonnenlicht. Dass wir unsere Überlegenheit dazu einsetzen, sie auszubeuten, ihnen wissentlich Schmerzen zufügen und sie unnötige Qualen leiden lassen. Dass wir ihnen unsere Empathie versagen. Und dass wir sie am Ende um das einzig kostbare bringen, was sie haben: Ihr Leben.