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04. Apr 2013 (N70)
Der Katz, mein König//Persönlich ist das neue Schwarz// 22 Kommentare
Heute vor einem Jahr starb die kleine Katze.
Keine vier Monate zuvor wuchs eine winzige Zyste schlagartig zu einem Riesentumor heran. Vor Jahren hatten wir schon eine Gesäugeleiste entfernen lassen; die Wundheilung der von Scham- bis Brustbein aufgeschnittenen Kleinkatz war ein Desaster gewesen und hatte Wochen gedauert. Nichtsdestotrotz musste dieser Tumor entfernt werden, zumal mein Bauch mir schon sagte, dass er bösartig war.
Die OP verlief gut, die kleine Katze erholte sich über Weihnachten und Silvester überraschend schnell und war froh und bewegungslustig wie lange nicht mehr, als die Tierärztin anrief und Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen sagen soll
sagte. Adenokarzinome. Mein Bauch hatte Recht gehabt.
Wir begannen umgehend mit der Therapie, bekämpften die Krebszellen mit allen einer Kleinkatz zumutbaren Mitteln und päppelten sie auf. Sie war immer ein bisschen zu dünn gewesen und sollte ein paar Reserven haben für den Fall, dass sie würde kämpfen müssen. Mitte Februar brachte sie sagenhafte 3,6 Kilo auf die Waage und war bester Laune, als ich einen Tumor zwischen ihren Rippen entdeckte. Der Krebs hatte gestreut.
So rasant es mit dem kleinen Mädchen bergauf gegangen war, ging es nun bergab. Sie bewegte sich weniger beim Spiel, wurde schnell kurzatmig und saß immer häufiger mit gesträubten Fell und geweiteten Pupillen auf der Couch. Sie fraß immer weniger, und an einem herrlich sonnigen Tag Mitte März brachen ihr die Hinterläufe weg, als sie mich willkommen heißen wollte. Der Anblick brach mir das Herz, und ich wusste, dass das Sterben begonnen hatte.
In den nächsten Tagen und Wochen beobachteten der Mann und ich die Kleinkatz genau. Wir waren uns einig, dass wir sie nicht leiden lassen wollten; sie sollte gehen dürfen, sobald ihr die Lebenslust abhandenkommen würde. Unsere romantische Vorstellung von Sterbebegleitung mussten wir jedoch schon bald aufgeben, denn die kleine Katze blieb sehr wohl lebenslustig. Sie genoss die Sonne, spielte liegend, wollte leben. Doch wie ihr Lebenswille uns einen Strich durch die Rechnung machte, war es ihr eigener Körper, der sie um ein friedliches Ende betrog.
Wir servierten ihr löffelweise Futter und Wasser, gaben lindernde Medikamente, massierten ihre von Lymphödemen geschwollenen Hinterläufe. Sie stand schreiend vor Hunger vor dem vollen Futternapf, wir saßen weinend neben ihr. Diese tapfere kleine Seele. Nie zuvor habe ich mich so hilflos gefühlt.
Dann kam der Tag, an dem die Schmerzmittel nicht mehr reichten. Wir versuchten noch einen anderen Therapieansatz, doch binnen zwölf Stunden wurde deutlich, dass es nur noch zwei Optionen gab: Die eine, darauf warten, ob sie zuerst ersticken oder verhungern würde. Die andere, ihr das Leben zu nehmen. Wir riefen die Tierärztin an und baten sie für den nächsten Tag zu uns.
Es ist ein merkwürdiges Gefühl, nach einer unruhigen Nacht aufzuwachen und zu wissen: Heute töte ich die Katz. Passend dazu geisterte mir Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben als Ohrwurm durch den Kopf. Ausgerechnet. Heute fängt ein neues Leben an!
Tamm-tamm.
Wir sagten ein letztes Mal Guten Morgen, spielten ein letztes Mal mit ihr, genossen ein letztes Mal gemeinsam die Aussicht vom Balkon. Ich hielt sie vorsichtig in meinen Armen, als sie entzückt die Morgenluft schnupperte. Dafür brauchte ich alle Kraft und wunderte mich. Wie konnte dieses zarte Wesen nur so unglaublich schwer wiegen?
Da wir nichts mehr zu verlieren hatten, überdosierten wir ihre Medikamente. Sie fraß einen letzten kleinen Happen, sogar mit Appetit. Sie spielte im Liegen, machte sich lang und schnurrte selig. Dann rollte sie sich in einem Katzenbett ein. Als der Großkatz zu ihr ging, vertrieb er sie nicht, wie es sonst seine Art war. Vielmehr legte er sich ebenfalls hin, putze sie sanft und schlief neben ihr ein. Sie hatte einen guten letzten Vormittag.
Als die Tierärztin kam, besprachen wir verbliebene medizinische Ansätze und die Möglichkeit, ihr Leben für eine weitere Woche erhalten zu können. Vielleicht auch für zwei. Doch Eventualitäten waren nicht genug, und Schmerzen und Stress ein zu hoher Einsatz. Ein Katzenleben ist kein Pokerspiel, und so trafen wir das, was man wohl eine erwachsene Entscheidung nennt.
Sie wollte nicht gehen. Argwöhnisch betrachtete sie die Tierärztin und jammerte, als wir sie umbetten mussten, um das Narkosemittel injizieren zu können. Als sie die Nadel spürte, mobilisierte sie alle Kräfte für einen letzten, kläglichen Fluchtversuch. Ich legte sie mir auf die Brust, beruhigte sie und sagte ihr, dass alles wieder gut werden würde. Dass sie nicht allein ist. Dass sie keine Angst zu haben braucht. Dann wurde ihre Zunge blau und ihr Blick leer.
Den Rest des Tages wachte ich über ihrem toten Körper. Jetzt, wo ihre Seele nicht mehr da war, war das Ausmaß der Verheerung erst richtig sichtbar; der Krebs war einfach überall. Allein am linken Hinterlauf ertastete ich über dreißig kleine Tumore, es mussten hunderte im ganzen Körper gewesen sein. Stundenlang streichelte ich das, was von der kleinen Katze mit den dutzenden Namen übrig geblieben war; fühlte, wie sie immer kälter und starrer wurde. Und war selbst nur ein einziger Schmerz.
Am nächsten Morgen brachten wir sie ins Krematorium. Während der Großkatz, der jetzt plötzlich Alleinkatz war, schon am Vortag durch Scharren angezeigt hatte, dass das da jetzt weg könne, war ich hingegen noch nicht bereit, sie ein letztes Mal aus der Wohnungstür zu tragen. Ich wiegte die Scherben ihres Körpers in meinen Armen und hatte Angst davor, die Stufen ohne ihr Protestgeschrei zu nehmen.
Eine Autofahrt später sollte ich sie loslassen. Mit bedauernder Miene schritt der Bestatter auf uns zu, streckte die Arme aus und griff vorsichtig nach der kleinen Katze, als mein Körper unwillkürlich in Verteidigungsstellung ging. Ich wollte sie mir einfach nicht wegnehmen lassen. Und wie ich dastand, den kleinen, viel zu starren Körper an mich presste und Wut und Panik in den Augen trug, verstand ich so vieles. Ich verstand die Menschen, die vom Verlust schier zerrissen werden und sich selbst in der Trauer verlieren. Ich verstand die Affenmütter, die ihren toten Nachwuchs so lange mit sich tragen, bis es der Zerfall nicht mehr zulässt. Und ich verstand, dass die Liebe keinen Unterschied zwischen den Spezies macht.
Nach einer Weile ließ ich sie doch los, und der Bestatter wog, was einst die Kleinkatz war. Sie hatte nur noch aus Haut, Knochen und Lymphstau bestanden, brachte aber viereinhalb Kilo auf die Waage. Der Bestatter berechnete nur zwei, während ich auf ein kleines, aschegefülltes Kästchen starrte und versuchte, die reine Tumormasse heraus zu rechnen. Auf der Rückfahrt entdeckte ich, dass meine Hände nach ihrem Tod rochen, und empfand es als tröstlich, sie auf diese Art noch ein Weilchen bei mir zu haben.
Heute vor einem Jahr starb die kleine Katze.
Ich denke fast jeden Tag an sie.
15:09h
susanne sagt:
ist das schon ein jahr her? es kommt mir wie vor wenigen wochen vor. und dabei bin ich nur stille fremde mitleserin. es rührte mich sehr an, es rührt mich sehr an. meine herzliche anteilnahme.
15:14h
Liisa sagt:
Herzzerreißender Gedenktext.
Habe an Ostern gerade einen meiner Kater verloren. Bei ihm war das Alter schneller als der Krebs, der vor wenigen Monaten im Rachenraum diagnostiziert worden war. Sein plötzlicher Tod hat uns die "erwachsene Entscheidung" erspart, die wir in den vergangenen 1 1/2 Jahren schon dreimal treffen mussten.
Und ja, man denkt jeden Tag an die Kater/Katzen die gestorben sind, eben weil sie nicht "nur Tiere" sind sondern eigenständige Charaktere.
15:25h
ms. hü sagt:
*seufz* unsere lieben pelzkinder … (jedenfalls sind sie das für mich.)
egal, wann sie gehen, es ist immer viel zu früh.
15:31h
Verena sagt:
So schön, so wahr, so traurig. Ich musste weinen, während ich das hier gelesen habe.
Als meine Katze eingeschläfert wurde, weil sie kaum noch atmen konnte, wurde mir die Entscheidung zum Glück abgenommen. Ich war nicht zu Hause, meine Mutter hat es veranlasst. Es kam sehr plötzlich und ich war unendlich traurig. Das ist nun schon sechs Jahre her und ich weiß noch genau, wie sich ihr Fell anfühlt, wie sie tretelt und schnurrt und wie gern ich sie hatte. Aber ein Gedanke tröstet dann doch: dass der kleine Tiger ein traumhaft schönes Katzenleben hatte!
15:39h
Kiki sagt:
Es wird irgendwann leichter. Der Schmerz wird weniger. Es ist rund 25 Jahre her, daß ich unseren ersten Hund auf seinem letzten Gang begleitete. Es hat einige Jahre gedauert, bis ich nicht mehr das Phantomklingeln ihres Halsbandes hörte oder glaubte, ihre Schnuffelnase zu spüren. Seither musste ich diesen Gang noch dreimal antreten, zuletzt 2008. „Erwachsene Entscheidung“ trifft es ganz gut. Nur, daß man die fällen muss, wenn man emotional gerade am kindlichsten ist.
15:41h
Ansgar sagt:
Was für eine anrührende Geschichte! Liebe macht wirklich keinen Unterschied zwischen Spezies! Ich habe vor gut 2,5 Jahren meine Frau durch eine Lungenembolie verloren. Auf ganz andere Art. Heute gesund - morgen tot, einen Abschied gab es nicht. Ich denke auch jeden Tag an sie und irgendwie ist sie immer bei mir.
Wir müssen alle mit unseren Verlusten klar kommen und ich werte da auch nicht. Ich denke, was ebenfalls gleich ist, ist, ist, dass man nicht um den Verlust trauern sollte sondern glücklich sein, dass es die Zeit zusammen gegeben hat - auch, wenn das nicht immer leicht ist!
15:54h
Johannes sagt:
:’(
16:05h
Felis sagt:
Vor 25 Stunden die Meine. Nach über 20 Jahren. Das heilt keine Zeit.
18:12h
Bodecea sagt:
*schnüff*
Mir sind vor fast genau einem Jahr drei meiner vier Katzen weggekommen. Jäger? Wildernder Hund? Gift? Katzenfänger? Ich weiß es nicht, tut aber immer noch weh.
18:19h
a-nette sagt:
@ Ansgar … gut gesagt.
… wenn Tiere leiden und sie sich in Obhut verantwortungsvoller Menschen befinden, ist das gut! Als wir diese "letzte" Entscheidung für unsere Hündin fällen mussten, zerriss es uns das Herz. Trost gab es mit dem Wissen, dass wir ihr großes weiteres Leid ersparen konnten.
Leider sind uns auch Katzen abhanden gekommen und die Ungewißheit aus deren Verbleib ist ebenso scheußlich. Manchmal wünschte ich ganz egoistisch, hätte ich sie doch nur tot aufgefunden, dann wüsste ich, dass nichts mehr mit dem Katzengetier passiert.
19:20h
serotonic sagt:
Vielen Dank für eure Anteilnahme. Das tut gut.
Liisa, puh. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Das tut mir sehr, sehr leid. (Und: Ja. Sowasvon ja.)
Kiki, »wenn man emotional gerade am kindlichsten ist« trifft es auf den Punkt. Dankeschön. (Ich hör sie auch immer noch rufen.)
Ansgar, meine Oma habe ich auch sehr überraschend an eine Lungenembolie verloren. Es tut mir sehr leid um deine Frau, und dass ihr euch nicht verabschieden konntet.
Bodecea, ach, Mensch. Das tut mir auch leid. Die Ungewissheit stelle ich mir besonders schlimm vor.
Und, Felis, ich bin absolut sprachlos … Deinen Verlust bedaure ich zutiefst und von ganzem Herzen. (Die großen Augen, während ich den letzten Weg klärte. Hier auch. Keine Worte.)
19:51h
Uschi Ronnenberg sagt:
*schluchz*
22:48h
Garvin sagt:
Das tut weh…
12:09h
Ansgar sagt:
@serotonic: So läuft das Leben halt - jedenfalls glaube ich das. Als Mensch wollen wir einen Sinn erkennen und suchen nach Mustern, aber es passiert alles zufällig und wenn man sich fragt, warum hat mich oder meine Nächsten oder mein Haustier Krebs, eine Embolie oder sonst eine schwere Krankheit getroffen, ist die Antwort des Lebens: "Warum nicht? Der/die ist dafür genausogut wie jede/r andere?"
Übrigens hatte ich Dir ein oder zwei Nachrichten bei facebook geschrieben… Wenn Du nicht drauf reagieren magst, ist nicht schlimm - ist ja Deine Sache! ;)
Ich erwähne das hier nur, damit sie nicht auf ewig nicht bemerkt unter SPAM/SONSTIGES versauern. Ist aber auch schon ein paar Tage her!
12:50h
serotonic sagt:
Tatsächlich habe ich die Nachrichten nicht bekommen, Ansgar? Grad auch nochmal geguckt, keine Nachrichten von dir im Postfach dort. Heißt du da anders?
13:47h
Anke sagt:
.
13:59h
ansgar sagt:
Nein, da schreibe ich unter Realnamen. Ich sehe drei verschickte, vom 5.2. (zu dieser Stalker-Geschichte, das hatte damals bei SpOn gestanden), dann zwei vom 7.3.
Komisch! Kannst Du mir vielleicht eine Mail schreiben (die Adresse steht ja hier), die ich dann beantworten kann? Muss ja nicht alles hier in den Kommantaren quasi offtopic stehen…
aber nochmal ontopic speziell @Felis:
Ich finde, das sagt Joachim Witt sehr schön in "Wie oft muss ich noch sterben?":
Und die Zeit heilt keine Wunden
sie ist mit dem Tod vereint
und sie wird mit jeder Stunde
immer mehr zu Deinem Feind
Ein anderes Stück, dem ich mich sehr verbunden fühle, ist "My Immortal" von Evanescense - unbedingt mal den Text raussuchen und durchlesen!
18:05h
Felis sagt:
@Ansgar: Mit Herrn Witt kann ich da nicht mitgehen. Zeit als feindlich zu betrachten, ganz generell, würde mein ganzes Weltbild auf den Kopf stellen. Gina Ruck-Pauquet hat mal in ein Jugendbuch geschrieben: Jeder Augenblick muß vergehen, damit der nächste sein kann. Eher so. Ya know? Ich habe es nur immer schon innig gehasst, wenn von Zeit die Rede war, die alle Wunden heile. Das ist ein solcher Blödsinn! Gar nichts heilt sie, jeder Verlust, jeder Schmerz wird ein Teil des eigenen Seins und Erfahrens. Das einzige, wofür Zeit nötig ist, ist jeweils zu lernen mit einer Lücke, einem Schmerz so umzugehen, daß man das integrieren und deshalb weiter leben kann und will.
Danke für den Hinweis auf das Evanescense-Stück. Habe zwar deshalb Teile der Tastatur ertränkt, aber das Stück ist schön und ich kann etwas damit anfangen.
13:59h
Lu sagt:
Ich bin nass geheult vor lauter Wissen um diese Situationen. Bis hin zu den riechenden Händen, die ich eine Nacht ungewaschen unter meinem Gesicht liegen hatte, die letzten Momente festhaltend.
16:58h
serotonic sagt:
Lu: .
(Während dieser Zeit musste ich auch sehr häufig an dich denken.)
09:20h
Anonymous sagt:
Liebe Serotonic
Mitgelesen, mitgefühlt, mitgeheult. Der dicke Kloss im Hals ist immer noch da…
Ihre Frau Gross
14:32h
tikerscherk sagt:
Mir laufen immer noch die Tränen.
So liebevoll gechrieben! Danke für diesen berührenden Text!
Letzten Juli musste ich meine Katze, die kleine zarte Gefährtin, gehen lassen und ebenso diese furchtbare Entscheidung treffen. Es brach mir das Herz, wie sehr sie mir vertraute. Bis zur letzten Sekunde.
Ich habe sie einäschern und in einem Rosengarten ausstreuen lassen. Sie war eine ganz große Liebe, und sie fehlt jeden Tag.